Ein anderer Diensthund geht auf Streife - ein Malinois rückt aus und klärt die Lage

Definitiv, sie sind etwas ganz Besonderes, die belgischen Schäferhunde, die dem Deutschen Schäferhund gerade im Diensthundebereich schon längst den Rang abgelaufen haben.

Seit Dienst-Mali-Hündin Kimba auf so wunderbare Art half, Ben von seiner Artgenossenaggression zu befreien, kenne ich die Rasse der Malinois und bin ihr unrettbar verfallen. Von dem Moment an, in dem ich Kimba "in Aktion" erlebte, war es mein sehnlichster Wunsch, irgendwann auch einmal so einem "durchgeknallten Belgier" ein Zuhause geben zu dürfen. Als sich im April 2010 meine Wohnungssituation dergestalt veränderte, daß die Aufnahme eines vierten Hundes möglich war, ging ich ohne Umschweife auf die Suche. Klar war, es sollte ein Tierschutzhund sein. Und klar war auch, ich konnte und wollte keine "Katze im Sack" kaufen.

"Malinois Athos ist am 29. August 2004 geboren und bereits kastriert. Bei seinen Vorbesitzern mußte der grazile Rüde überwiegend in einer Flugbox bleiben, da er (angeblich, Ergänzung der Betreiberin) ein dominantes Verhalten aufbaute. Wir suchen für Athos einen hundeerfahrenen Halter, ohne Kinder, der sich möglichst auch mit dieser Rasse auskennt. Athos ist mit Artgenossen verträglich, sehr intelligent und arbeitsfreudig (auch in Richtung Agility). Er spielt überaus gerne Ball, beschützt seine Bezugsperson, an die er sich nach etwas Eingewöhnung eng bindet und ist besonders wachsam. Der sportliche Vierbeiner springt über 1,50 m hohe Zäune, fährt gerne mit dem Auto mit, jagt diese und andere Verkehrsmittel nicht, reagiert nicht nervös auf Umweltgeräusche und ist MVV-tauglich."

Mit diesem Text versuchte das Münchner Tierheim, Athos zu vermitteln. Man suchte und fand ... nicht. Niemand wollte den stattlichen Malinois haben. Nur Gassigängerin Christa gab nicht auf. Sie kämpfte für Athos, ab Dezember 2009 nicht mehr nur mit Worten und Taten, sondern auch mit finanziellen Mitteln.

Nachdem Athos im Tierheim im wahrsten Sinne des Wortes vor die Hunde zu gehen drohte, schritt sie energisch ein. Kaum jemand wußte mehr mit dem tobenden Malinois umzugehen, doch sie sah in Athos' Augen den tollen Charakter, den dieser sich so hilflos gebährdende Hund eigentlich besitzt und wußte: Er muß hier raus. Athos muß, wenn er gesund bleiben und sich noch einmal auf Menschen einlassen können soll, dringend zu Leuten, die mit Hunden wie ihm, mit Hunden dieser ganz besonderen Rasse, umgehen können. Entsprechend recherchierte sie und fand auf heute fast wunderbar scheinenden Wegen eine "Mali-Verrückte", Athos' späteres Pflegefrauchen Bettina.

Die beiden Frauen verabredeten ein Treffen, an dessen Ende stand, daß Athos nach einem traurigen Weihnachtsfest, das Christa wohl als das tränenreichste ihre bisherigen Lebens in Erinnerung bleiben wird, umzog, auf's Land, etwa 150 Kilometer entfernt von seiner bisherigen Heimat München. Dabei hatte Bettina, die schon öfter "malinöse Notfälle" betreut hatte, eigentlich gerade keinen "Zuwachs" gewollt. Doch Christas Überzeugungskraft konnte sie nicht widerstehen, zumal die eigentlich "nur ehrenamtliche Gassigängerin" vorbehaltlos die Hundepension finanzierte, in der Athos wegen seiner Katzenunverträglichkeit untergebracht werden mußte.

Es war dieses Arrangement, das sich für den "Charme-Bolzen auf vier Pfoten" als unglaubliches Glück erwies. Denn während Bettina begann, Athos auszubilden, indem sie mehrmals in der Woche die rund 20 Kilometer zur "Hunde-Ranch Studer" zurücklegte und mit ihm arbeitete, formierte sich dort ein regelrechter "Athos-Fanclub". Allen voran war es Pensionsbetreiberin Tina Studer, die sich in das Training einklinkte, um den pfiffigen Malinois möglichst schnell möglichst fit für ein glückliches Hundeleben zu machen. Auch eine Reihe anderer Helfer auf der "Hunde-Ranch" beteiligten sich engagiert am "Athos-Eingliederungsprogramm". Gemeinsam fingen sie sein in einer menschlichen Gesellschaft problematisches Verhalten auf, das vermutlich weitgehend aus den katastrophalen Lebensbedingungen resultierte, denen er über lange Zeit ausgesetzt gewesen war. Sie gaben ihm Zuneigung, aber auch die klare, souveräne Führung, die jeder Hund für ein glückliches Leben benötigt. Athos erwarb einen ausgesprochen guten Grundgehorsam, er bekam Spiel genauso wie Spielregeln und war damit schnell in der Lage, sich trotz seiner schlechten Erfahrungen wieder auf Menschen einzulassen. Mit Hilfe der Zweibeiner, die sich jetzt um ihn bemühten, konnte der so wunderbar agile, so faszinierend arbeits- und kooperationswillige Malinois den Panzer seiner Angst durchbrechen und im ICE-Tempo zeigen, was an phantastischen Anlagen in ihm steckt.

Währenddessen machten sich Christa und Bettina intensiv auf die die Suche nach einem guten neuen Zuhause für ihren Schützling. Sie erlebten dabei, was man halt erlebt, wenn man harte Maßstäbe anlegt und einen Hund nicht einfach loswerden will, doch obwohl sie reichlich Flops zu verkraften hatten, ließen sie nicht locker. Die beiden Frauen inserierten in großen und kleinen Tageszeitungen, sie schrieben in Hundeforen, sie kontaktierten Organisationen - doch es schien, als ob niemand, dem sie Athos hätten anvertrauen wollen, ihn auch wirklich haben wollte.

Doch eines Tages war ich es, die Bettinas Beschreibung von Athos las. Ich sah sein Bild. Ich sah das wunderbar verrückte "Knickohr". Und ich sah, daß er mit Katzen nicht könnte. Eigentlich wäre das ein Ausschlußkriterium gewesen. Bis Ilias einzog, jedenfalls. Denn mit ihm mußte ich meinen Kater ohnehin von der Hundegemeinde trennen. Und so machte es ja vielleicht nicht mehr viel aus, ob der miauende Mitbewohner nun von einem oder von zwei bellenden Familienmitgliedern getrennt werden mußte. Dachte ich. Und schrieb diese Mail, die Mail, die alles entscheiden sollte.

Ich berichtete Bettina von mir und meinen Hunden und erzählte ihr, daß und warum ich nach einem Malinois suchte. Kurz zusammengefaßt: Ich war malifiziert, ich hatte mich in die Rasse genauso verguckt wie jetzt in das Bild des Hundes, der ihr anvertraut war. Ich schrieb von Bens, Seppls und Ilias' Vorgeschichte und von meiner Philosophie als Trainer. Und bekam nicht nur Antwort, sondern eine Einladung. Bettina bot mir an, 1,5 Tage mit ihr, Athos und meinen Jungs zu verbringen, um den Mali, der bei uns einziehen sollte, auf Herz und Niere zu prüfen. Aus ihren Worten schlug unglaublich viel Wärme, man spürte, sie meinte, was sie sagte. Und sie sagte viel. Vor allem über Athos. Mit nichts hielt sie hinter dem Berg, nie vorher wußte ich über einen Hund soviel wie über dieses liebenswerten Kerl, der seine "Schattenseite" durchaus hatte wie sie erklärte.

Ich fand, daß es keine bessere Ausgangsbasis geben konnte und sagte zu. Auf ging es nach Bayern, genauer, ins tiefste Bayern, was einem waschechten Preußen wie mir fast schon unheimlich war. Doch davon abgesehen, daß alle Beteiligten sehr viel langsamer als gewöhnlich sprechen mußten, damit ich ihrem doch leicht gewöhnungsbedürftigen Dialekt folgen konnte, verstanden sich sowohl Menschen als auch Hunde auf Anhieb prächtig.

Ich hatte Gelegenheit, mit Athos zu arbeiten, die Jungs lernten ihn in ausgiebigen Freiläufen kennen, und alles klappte - trotz der sommerlichen Hitze, die nicht nur uns Zweibeinern zu schaffen machte. Als ich am folgenden Tag abreiste, war entsprechend eindeutig klar: Athos würde umziehen dürfen, in ein endgültiges Zuhause, in dem er die Liebe, Geborgenheit und Arbeit finden würde, die er verdiente und brauchte.

Für mich ist Athos ein echter "Seelenhund", er berührt mich so tief, wie es vorher nur Ben konnte, dem er damit jedoch in keinster Weise den Rang abläuft. Ich bin schlicht und einfach besonders beschenkt, indem ich in einem Menschenleben gleich zwei Hunde fand, in deren Augen man sehen kann, wie wenig Zweifel es daran gibt, daß unsere Hunde genau wie wir unsterbliche Seelen haben.

Athos ist wie Ben ein "etwas anderer Hund". Wo Seppl und Ilias, die ich nicht minder liebe, einfach nur hundliche Sonnenscheine, Lausbub und Spitzbub eben, sind, da sind der durchgeknallte Malinois und sein nicht minder durchgeknallter Kumpel aus Fuerteventura die lebenden Beweise dafür, daß auch Hundemänner ganz schön kompliziert ticken können.

Das Leben mit ihnen, mit allen vier Hunden, meinen so verschiedenen und so phantastischen vierbeinigen Partnern - es ist eine unendliche Bereicherung, die ich nicht mehr missen möchte. Nicht mehr und nicht weniger.

"Er ist ein Extremist, ein Macher, ein Woller, ein Immer. Ein Arbeitshund, ein Gebrauchshund. Ein Hund voller Energie, die wenn sie staut explodiert. Ein Beschützer und Wächter. Ein Fulltimejob. Ein Zerstörer. Ein Läufer und Jäger. Ein Kuschler. Ein Schatten. Ein Draufgänger. Eine Waffe. Ein Sensibelchen. ...

... Er himmelt seinen Führer an wenn er richtig geführt wird oder er zerbeisst ihn. Bei roher Gewalt. Alternativ bricht er zusammen.

Er ist in allem ein Extremist ... in allem. Ganz oder gar nicht. Dazwischen gibt es nichts. Er ist der beliebteste Hund im Dienst. In allen Punkten. Er muss arbeiten oder er wird unaustehbar. Er ist einer der intelligentesten Hunde, die man sich vorstellen kann und dies fordert er ein. Er ist Opportunist und nutzt dies gnadenlos aus.

Der Halter muss fit sein. Er muss hundeerfahren sein. Er muss bereit sein, alles über sein bisheriges Hundeleben in Frage zu stellen, zumindest zu hinterfragen.

Er ist kein Hund wie viele andere, die wesentlich einfacher zu halten sind."

(Toni Bergsch, Diensthundführer bei der Polizeihundestaffel in Walldorf über die Malinois)