Ben - der Perro Ganado Majorero

Er steckte voller Schrotkugeln, das linke Auge war blindgeprügelt, Narben an den Läufen und im Gesicht zeichneten ihn - spanische Tierschützer fanden Ben in diesem Zustand in einer der vier Perreras der Insel und nahmen ihn mit.

Mit diesem Text und dem rechten der beiden Bilder suchten sie in der Folge für ihn ein neues Zuhause: "Ben kommt aus der Tötung. Als wir ihn das erste Mal dort sahen, hatte er panische Angst vor uns, drückte sich knurrend in die hinterste Ecke seiner Box. Tiefe Narben im Gesicht, am Hals und an den Beinen erzählen eine traurige Geschichte. Er schien weder Hunde noch Menschen zu kennen, wurde vermutlich isoliert in einem Verschlag gehalten, da er auch kaum Umweltreize kennt. Bei uns in der Auffangstation lebt er nun langsam auf und versucht zaghaft Kontakt aufzunehmen. Er zeigt erste vorsichtige Spielversuche und lässt sich behutsam streicheln. Insbesondere vor Männern ist er jedoch auf der Hut. Welche hundeerfahrene geduldige Familie gibt dieser geschundenen Kreatur ein würdevolles Leben??"

Als ich diese Geschichte auf den Seiten der "Tierhilfe Fuerteventura" las und die Bilder von Ben sah, war es um mich geschehen. "Ich," schrie alles in mir, und so bot ich an, dem sprichwörtlich armen Hund ein neues Zuhause zu geben. Zunächst, so erklärte ich, sollte Ben als "Pflegi" zu mir kommen, verstünde er sich mit dem Kater und sei autotauglich, wollte ich über eine Komplettübernahme gerne nachdenken. Ben hatte, so empfinde ich es im Rückblick, mein Herz im Sturm erobert, und ich glaube heute, daß es nie einen anderen Weg gab, als daß er bei mir bleiben würde.

Ich verhandelte also mit den Tierschützern und nach einigem Hin und Her war klar: Am 30. Juni 2006 sollte mein neuer Gefährte am Flughafen in Düsseldorf ankommen. Was er auch tat. Und zwar sehr nachhaltig. Kaum war die Flugkiste durch den Zoll und näherten sich die Helferin von der Tierhilfe und ich uns dem Behältnis, begann es drinnen zu knurren und zu keifen, als ob es kein morgen geben würde. Der zähnefletschende Vierbeiner sah aus, als ob er uns samt Kiste zerreißen wollte, und doch war ich nur zu einen einzigen Gedanken fähig: "Du gehörst zu mir, und ich werde Dich nie wieder hergeben." Warum? Ich weiß es nicht.

Ich stand einfach neben der Kiste und schaute dem tösenden Hundekerl fest in die Augen. Ich funktionierte wie ferngesteuert, alles, was ich machte, machte ich rein instinktiv. Mit Hilfe der Tierschützerin schob ich den Gepäckwagen, auf dem die Box stand, zunächst in die abgelegene Tiefgarage, in der wir vorsorglich geparkt hatten. Ich sprach mit dem tösenden Hund, ich hockte mich vor ihn und versuchte, ihn zu beruhigen. Über 45 Minuten saß ich vor ihm, der immer heftiger drohte und abwehrte. Aus naheliegenden Gründen lehnte ich den Vorschlag der Tierschützerin, die Kiste komplett ins Auto zu packen und erst Zuhause zu öffnen, ab. Doch aufgeben, nein, aufgeben, das wollte ich auf keinen Fall. Ich atmete mit Ben, ich erklärte ihm, daß ich für ihn dasein wolle - ich redete vermutlich allen möglichen Unsinn. Doch irgendwann wurde der wütende Hund tatsächlich ruhiger.

Ich nutzte die Chance und bot ihm Leckerchen an, die Ben auch nahm, wider die Prognose der Dame von der Tierhilfe. Ich fütterte ihn und dann, ganz plötzlich, hatte ich das Gefühl, die Box nun öffnen zu können. Die Tierschützerin zog sich sehr sorgsam zurück, als ich, vor der Kiste kniend, die Tür aufzog. Die fletschende Bestie stürzte auf mich zu, während ich mich innerlich auf einen Kampf vorbereitete. Es war völlig idiotisch, aber ich konnte einfach nicht weichen, nicht wanken, es war mir unmöglich, mich diesem Hund nicht zu stellen, und ich gab tatsächlich keinen Millimeter nach.

Und dann geschah das Wunder. Ben bremste nur wenige Zentimeter vor mir und legte seine Stirn an meine Stirn. Wie lange wir so verharrten, wie lange ich ihn danach fest in meine Arme nahm, wie lange er an mir lehnte, ich kann es heute nicht mehr sagen. Doch der Moment, die Gefühle, die er mitbrachte - ich werde nichts davon je vergessen. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die alle Probleme, die wir, Ben und ich, zu bewältigen hatten, überdauerte.

Unser gemeinsamer Weg, zu Beginn, in den ersten Tagen, Wochen und Monaten - er war ein steiniger, ganz bestimmt. Ich machte viele Fehler, vor allem aber lernte ich ungeheuer viel über Hunde und ihre Kommunikation. Ich lernte, Ben zu verstehen, und mit jedem Tag wuchs meine Zuneigung zu ihm.

Was ich vor mir hatte, war ein höchst aggressiver Hund, der auf alles und jeden losging, was zwei oder vier Beine hatte. Ben fühlte sich ständig bedroht, und seine Antwort darauf lautete stets: Angriff ist die beste Verteidigung. Ich versuchte, ihm Streß vom Hals zu halten, doch nachdem er trotz aller Vorsicht jemanden verletzt hatte, der mir der wichtigste Mensch auf der Welt ist, suchte ich professionelle Hilfe. Und geriet prompt an jemanden, der alles andere war, nur nicht professionell. Die damalige Trainerin warf Diskscheiben nach Ben, um sein aggressives Verhalten zu unterbrechen und löste es damit erst richtig aus. Was schlimm gewesen war, wurde schlimmer, und ich wußte nicht, woran es lag. Also bildete ich nicht nur Ben aus, sondern erst einmal mich weiter. Ich recherchierte, ich arbeitete mit meinem Hund, und wir machten tatsächlich Fortschritte. Doch vieles blieb zunächst im Argen.

Bis ich einen weiteren Versuch unternahm, einen geeigneten Trainer zu finden. Auf Umwegen geriet ich in die Hände ... der Polizei. Ein Diensthundeausbilder war es, der mir half, den absoluten Durchbruch zu erzielen. Und zwar, indem er mich zum Clickertraining brachte, mit dessen Hilfe ich Ben endlich, endlich erlösen konnte.

Nach drei Monaten zog ich am 1. Januar 2008 eine Zwischenbilanz. Ben hatte im ersten Schritt gelernt, an der Leine einigermaßen aggressionsfrei an Artgenossen vorbeizukommen. Er orientierte sich zunehmend an mir. Ihn ohne Leine laufen zu lassen? No way. Fußgänger und/oder Radfahrer, konnten in der Stadt, wo sie nicht vereinzelt auftraten, unbehelligt von dannen ziehen, begegneten sie uns "in freier Wildbahn" wurden sie offensiv attackiert. Typisch war: Verbellen, stellen, umkreisen als defensive und Schnapper in den Oberschenkel von Menschen bzw. in das Fell von Artgenossen als offensive Varianten, solange Ben nicht absolut unter meiner Kontrolle war. Tierarztbesuche waren nur a) mit Beißkorb und b) durch mich fixiert, die Narkosespritze möglichst schnell "reinjagend", egal, was gemacht werden mußte, möglich. An ein Anfassen meines Hundes durch andere Menschen war bis auf zwei Ausnahmen nicht zu denken. Ein Besuch bei fremden Menschen, ein Betreten einer Wohnung, in der sich Menschen und/oder Hunde aufhielten, eine schnelle Bewegung, ein ihn anschauen, das länger als Sekunden gedauert hätte? Fehlanzeige, Fehlanzeige, Fehlanzeige.

Doch aufgeben, das kam für mich trotzdem nicht in Frage. Ich merkte, wie uns das "Polizei-Training" den Silberstreif am Horizont bot, den ich brauchte, um noch härter an mir zu arbeiten. Denn das war die Basis für den Erfolg, den das Jahr 2008 in einem Maße brachte, daß es an ein Wunder grenzte.

Im Januar besuchten Ben und ich gemeinsam unser erstes Hundeseminar. Referent war der Wolfsforscher und Hundetrainer Günther Bloch, auch genannt Günther-Hampel-Bloch. Der Mann stand so gut wie nie still, und der einzig freie Platz war ausgerechnet der gewesen, der ihm am nächsten war. Und mein Ben lag zu meinen Füßen, als ob er nie aggressiv auf Bewegungen, nie aggressiv auf auch nur kurze Blickkontakte reagiert hätte. Ich mußte zwar höllisch aufpassen, aber: Ben war aggressionsfrei.

"Der neue Ben" durfte im Februar 2008 zum ersten Mal mit Bonny, dem Hund meiner Mutter, spazierengehen, unter größten Bedenken meines Mütterchens, das sich und ihren Hund in großer Distanz von uns hielt. Die Wohnung war tabu, gemeinsamer Freilauf nicht erlaubt, doch meine Mutter begann, Ben zu mögen, wenn auch sehr zaghaft.

Im März knüpfte Ben erste Kontakte zu ihm bis dahin fremden Menschen. Zaghaft brachte er ihnen Vertrauen entgegen, ließ sich auch einmal anfassen, später sogar richtig streicheln.

Im April fand ein weiteres Seminar statt, das Thema lautete: "Körpersprache von Hunden". Ben war zum ersten Mal aktiver Teilnehmer, mir wurde es immer leichter, zu agieren, statt zu reagieren, weil ich immer besser sehen konnte, was mein Hund als nächstes tun würde. Ich lernte, ihm genug Distanz, aber auch genug Ruhepausen zu geben, ihn nicht zu fordern, wenn er nicht mehr konzentriert sein konnte.

Die Trainingseinheiten wurden in der Folge insgesamt kürzer. Statt mehrfach am Tag im Schnitt 15-20 Minuten Übungen zu wiederholen, wurde ich lockerer, übte nur noch maximal zwei Minuten am Stück, wurde geduldiger und nahm Druck von Ben und von mir.

Ende April 2008 "küßte" er meine Mutter zum ersten Mal, sie traute sich, ihm Leckerchen zu geben. Die Wohnung blieb noch tabu, Ben mußte im Auto warten, während wir drinnen Kaffee tranken.

Beim ersten Baumann-Seminar im Mai 2008 war Ben aktiver Teilnehmer, Thema "Aggression". Er wurde angebunden, ich mußte außer Sicht gehen. Mein Hund wurde gezielt von Thomas Baumann provoziert, der sich ihm mit Hut, Schirm und Mantel näherte. Ben schaute in die Richtung, in die ich verschwand, bellte, was das Zeug hielt, ging aber weder vor, noch zurück. Baumanns Analyse damals lautete: Ben ist nicht (mehr) aus Angst/Unsicherheit aggressiv. Er zeigt sich souverän und ruhig, im Englischen würde man sagen "he stands his grounds". Er kommuniziert angemessen, auch wenn er allein ist. Er rastet nicht mehr unkontrollierbar aus, selbst dann nicht, wenn er objektiv bedroht wird. Durch mich ist er jederzeit ansprech-, beeinfluß- und abrufbar. Sein Arbeitsmodus trägt auch unter Ablenkung. Ben hat eine sehr enge Führerbindung, ist in Hinblick auf Artgenossen ein dominanter Hund, verbunden mit entsprechend aggressiven Tendenzen, die er zeigt, wenn er glaubt, sein Ziel anders nicht erreichen zu können. Bis hierher war Ben 23 Monate bei mir gewesen.

In den folgenden Monaten lernte Ben immer mehr Menschen kennen und schätzen. Er fand immer mehr Freunde, auch die ersten vierbeinigen.

Mitte September 2008 durfte Ben die mütterliche Wohnung zum ersten Mal betreten. Seitdem ist das Hausverbot komplett aufgehoben.

Im November 2008 spielte Ben das erste Mal, mit einem Menschen. Das erste Spiel mit einem Artgenossen ließ noch einen Monat länger auf sich warten, Castor, der Dobermann, den ich zu dieser Zeit trainierte, war es, der Partner dieser Premiere war.

Heute lebt Ben mit drei anderen Hunden zusammen. Ist er von ihnen getrennt, ist er kreuzunglücklich. Ben hat zahlreiche menschliche Freunde, wer ihn nicht von früher kennt, merkt nicht mehr, wie es einst um ihn stand.

Das Röntgenbild zeigt den Körper eines geschundenen Hundes, Bens Körper. Nur durch Zufall entdeckte Bens Tierärztin, daß der Hund voller Schrotkugeln steckt, die vermutlich von aufgesetzten Schüssen stammen.

Allein auf der Insel Fuerteventura, von der Ben stammt, gibt es vier sogenannte Perraras (Tötungsstationen). Perreras werden in der Regel von den Gemeinden betrieben. Hunde, die von Hundefängern von der Straße geholt werden oder aus irgendeinem Grund in einer solchen Tötung abgegeben werden, werden, wenn niemand sie abholt, nach 21 Tagen getötet, ohne Ansehen von Rasse, Geschlecht oder Alter. Aktuell ist das auf Fuerteventura in der Perrera La Pared immer noch so, die Perrera Tuineje, die ebenfalls der Gemeinde untersteht, ist ein wenig humaner, tötet jedoch auch noch. Die Perreras La Oliva und Puerto del Rosaria wurden von Tierschützern übernommen, hier wird nicht mehr getötet.

(Quelle: Tierhilfe Fuerteventura)