Seppl, ein unsicherer Osnabrücker-Land-Hund

Im Oktober 2008 fand eine neue Userin ihren Weg in das Forum von Aggressionshund.de. Sie berichtete von ihrem Hund Bennie, der sich offenbar aggressiv gegen Menschen verhielt.

Ihr Bericht begann damals mit dem Satz: "Bennie kam als Scheidungshund aus dem Tierheim, wo er Weihnachten 2007 abgegeben wurde. Leider hatte ich an Bennie von Anfang an wenig Freude, weil er sich schnell als mein Sorgenhund entpuppte."

Bennies Frauchen berichtete zunächst von einem Hund, der regelmäßig krank war. Bereits Ostern 2008, kurz nachdem sie ihren neuen Gefährten zu sich geholt hatte, entdeckte sie, daß er verwurmt war und entsprechend behandelt werden mußte. Anfang Juli 2008 bekam Bennie zum ersten Mal hohes Fieber, konnte nicht mehr laufen, war apathisch und hatte einen seltsam abwesenden Blick sowie eine noch merkwürdigere Nackenhaltung. Die Tierärztin diagnostizierte eine Infektion, verabreichte zwei Spritzen und verschrieb Antibiotika. Die Medikation schlug an, und nach kurzer Zeit war Bennie wieder fit. Allerdings hatte er im Rahmen der Untersuchung gezeigt, daß nicht allein sein gesundheitlicher Zustand problematisch war, auch sein Verhalten gab Anlaß zur Besorgnis.

Schon vor dem Besuch beim Tierarzt hatte er leicht aggressives Verhalten gegen Menschen gezeigt, jetzt aber schnappte er bereits, in diesem Fall nach dem Bein der Veterinärin, an dem er einen kleinen Kratzer verursachte.

Bennies Frauchen berichtete in der Folge zudem über ein zunehmend aggressives Verhalten ihres Hundes Menschen gegenüber. Angefangen damit, daß Bennie Männer auf der Straße anbellte, begnügte er sich irgendwann nicht mehr nur mit Bellen, sondern zog und sprang an der Leine, wütete und versuchte zu schnappen. Als er im Treppenhaus nach einer Mitbewohnerin seiner Halterin schnappte, engagierte sie einen Tiertrainer und zog sich mit ihm aufs Land, in das ihrer Schwester zurück, um weiteren Katastrophen zu entgehen.

Ende Juli 2008 folgte ein neuer Krankheitsschub. Bennie konnte wieder nicht mehr laufen, er zeigte einen glasigen abwesenden Blick, eine starre Nackenhaltung - kurz, er bot einen jammervollen Anblick. In der Tierklinik ließ er sich nicht anfassen, auch eine Beruhigungstablette änderte daran nichts. Bennie bekam auf Basis der Vermutung, er könne unter Borreliose leiden, Schmerzmittel und Antibiotika, sein Frauchen den Auftrag, ihm vor dem nächsten Besuch ein ruhigstellendes Medikament zu verabreichen, damit der Hund untersucht werden konnte.

Was folgte war eine Odyssee von Hund und Halterin, aus Fieberschüben, Tierarztbesuchen, den verschiedensten Diagnosen und natürlich auch den verschiedensten Medikationen.

Vor allem aber zeigte Bennie sich zunehmend aggressiv. Sein Verhalten lähmte seine Halterin zusehends. Sie schrieb damals: "Aber soviel sei gesagt, daß ich zunehmend das Gefühl habe, mich durch den Hund total sozial zu isolieren. Das beginnt damit, daß ich höchstens einmal in der Woche für ein paar Minuten in meine Wohnung gehe, um dort nach dem Rechten zu schauen. Und es endet damit, daß meine Freunde und Verwandten mich meiden, weil sie Angst vor der Aggression meines Hundes haben und daß sich festgemacht an dem Hund auch zwischen meiner Zwillingsschwester und mir Rivalitäten, Konflikte, Konkurrenz - also Abgründe auftun."

Die Verzweiflung war greifbar, woraus Bennies Halterin nach mehreren Zwischenfällen um Weihnachten 2008 herum, in deren Verlauf Bennie Menschen anging, im Januar 2009 den Schluß zog, sich an mich und damit an eine neue Hundetrainerin zu wenden, nachdem zwei vorherige Versuche offenbar gescheitert waren. Sie tat es in der Hoffnung, wenn schon keine Klarheit über die Ursache der rätselhaften Fieberschübe zu bekommen war, wenigstens eine Lösung für Bennies Aggression zu finden.

Durch die Forumsbeiträge seiner Halterin war mir klar: Bennie ist ein verunsicherter, ängstlicher Hund. Sein aggressives Verhalten entstand nur, wenn er keine Chance hatte, dem Angst auslösenden Reiz zu entgehen. Als ich Bennie am 25.01.09 zum ersten Mal begegnete, zeigte sich mir ein Hund, der aufgeregt kläffend vor und zurück sprang, sich aber schnell über Leckerchen ködern ließ. Nach wenigen Minuten war der Spuk vorbei und zwar, soweit es mich betraf, endgültig.

Bis März 2009 fuhr ich regelmäßig zu Bennie und seiner Halterin, und vergleichsweise schnell kristallisierte sich zweierlei heraus: Das extreme aggressive Verhalten zeigte Bennie nur, wenn sein Mensch dabei war, und sein Gesundheitszustand war alles, nur nicht in Ordnung. Gleiches galt, und das war das Tragische an der Geschichte, für Bennies Halterin, die immer hilfloser und verzweifelter wurde. Beide mußten wir erkennen: Es gibt Mensch-Hund-Kombinationen, die einfach nicht funktionieren. Bennies Frauchen ist ein sehr, sehr lieber Mensch, doch mit einem hyperaktiven Hund, der absolut klare Führung und viel, viel Sicherheit durch seinen Zweibeiner braucht, war sie heillos überfordert.

Als Bennies Frauchen mir Anfang März 2009 berichtete, daß ihr Hund nun auch noch ausgerechnet ihren Vermieter und das im Treppenhaus des Mietshauses, in dem sie wohnte, angegangen war und der daraufhin mit Kündigung der Wohnung gedroht hatte, sah ich Handlungsbedarf. Ich bot an, ihr ein wenig von dem seelischen Druck, der so offensichtlich auf ihr lastete, zu nehmen, indem ich Bennie für eine Übergangszeit oder falls sie es wollte, auch vollständig, ein alternatives Zuhause geben würde. Bennies Frauchen reagierte sofort, am 10. März 2009 brachte sie Bennie, der zu diesem Zeitpunkt über 40 Grad Fieber hatte, zu mir. Unser erster, noch mit seiner bisherigen Bezugsperson gemeinsame, Weg führte in die tierärztliche Klinik, in der auch Ben falls nötig behandelt wird. Dort zeigte Bennie sich vollständig unaggressiv, er klammerte sich, durch das Fieber geschwächt, förmlich an mich und sank im Anschluß an die Untersuchung apathisch in die Hundebox.

In den folgenden Tagen bekam er ein Antibiotikum sowie erneut Cortison, es dauerte nicht lange, bis er sich erholte, und beim ersten Spaziergang an meiner und Bens Seite zeigte, was ihm gefehlt hatte. Er rannte, zunächst noch mit Beißkorb, als er zahlreiche Menschen aggressionsfrei passiert und unsere Mitgängerinnen auch unbehelligt gelassen hatte, auch ohne und rannte und rannte und rannte.

Von Beginn an clickerte ich nun jeden freiwilligen Kontakt zu mir, ein Blick, ein Stehenbleiben, ein Schnüffeln, ein Versuch, sich Ben oder anderen Menschen oder Artgenossen zu nähern - nichts blieb unbestätigt und nichts blieb unbelohnt.

Es dauerte nicht lange, bis Bennies Halterin die Liebe zu ihrem Hund sprechen ließ und entschied, daß er bei mir bleiben sollte. Und so wurde aus Bennie Seppi, der Name seinem fröhlichen, ganz oft clownesken Verhalten geschuldet, das vollständig frei von Aggressionen, leider aber nicht vollständig frei von Fieberschüben war.

In den folgenden Monaten traten sie, wenn auch seltener als zuvor, auch in meiner Obhut auf, doch konnte ich zum Glück sehr schnell das Muster erkennen. Stets konnte ich dem Kranheitsschub eine extrem stressende Situation zuordnen, ich erkannte, was für Seppi stressig war und was nicht und vor allem fand ich eins heraus: wie ich gegensteuern konnte.

Mittlerweile haben wir Seppis Verhalten genauso im Griff wie das Fieber und ist aus dem ehemals aggressiven Hund ein Vierbeiner geworden, der gerne auf Menschen zugeht, der gerne arbeitet und genauso gerne "rumspökst", kurz: ein toller Hund, der Ben ein feiner Kumpel und manchmal auch Kumpane ist und ein Kerl, der stets für einen Glücksmoment gut ist.

Seppl, der kaum Selbstvertrauen hatte, lernte unter anderem via Beutespiel, Spaß mit einem Menschen zu haben.

Nicht selten ist er verpönt, der sogenannte Schutzdienst. Falsch gearbeitet, ist er hochgradig gefährlich und steht zu Recht in der Kritik. Sauber als Spiel mit der Beute Beißärmel aufgepackt, kann er unsicheren Hunden helfen, Selbstwertgefühl zu bekommen. Seppl lernte "go" (als Freigabe für den Ärmel) und "fortissimo" (als Signal für das Stellen und Verbellen) innerhalb kürzester Zeit, heute setze ich es als Belohnung für besonders gute Arbeit ein.