Nicht verrückt, nicht anormal, sondern einfach nur: Ein Hund
Wir kennen es alle, es ist uns peinlich, wir sind überfordert, wir verstehen nicht, was das soll. Hunde, die an der Leine pöbeln, Menschen und/oder Artgenossen angreifen, alles jagen, was fährt, rennt oder einfach Hase oder sonstiges Wild ist, bringen uns Menschen an den Rand der Verzweiflung.
Auch ich suchte mir, als ich hilflos vor meinem aggressiven Hund stand, kompetente Hilfe. Jedenfalls dachte ich das. Nachdem ich jedoch erfahren hatte, daß Ben ein hoffnungsloser Fall wäre, der niemals ohne Leinen- und Beißkorbsicherung würde sein können, zweifelte ich. Heute weiß ich: zurecht. Mittlerweile bin ich selbst Hundetrainer und weiß besser, was mir damals schon seltsam vorkam. Ben, der angeblich "unerziehbare Straßenköter" war selbstverständlich "zu retten". Längst ist er ein "Menschenhund" geworden und lebt als unbestrittener "Monarch" in einer Gruppe von insgesamt vier Hunden. Es bedurfte "nur" des richtigen Herangehens an seine Probleme. Ben - er veränderte mein Leben, in jeder Hinsicht.
Es war ein Polizeihundetrainer, der uns zum Durchbruch verhalf. Bei ihm lernte ich den richtigen Gebrauch des Clickers und ... Ben einfach als Hund zu sehen, der nur eins tat, kommunizieren. Nie werde ich den Moment vergessen, am Ende der Begutachtung durch den routinierten Diensthundeausbilder. Er stand vor mir und dem via Halti und Leine gesicherten Ben und sagte: "Das ist ein absolut normaler Hund."
Obwohl Ben beschädigend gebissen hatte, trainierte dieser Mann mit uns. Nie hatte Ben einen Beißkorb auf. Nie hatte der Trainer einen Schutzanzug an. Ben wurde nicht bedrängt. Ich lernte, ihn so zu führen, daß er mir vertrauen konnte. Ich lernte, ihn so zu führen, daß es für ihn keine Notwendigkeit mehr gab, sein Heil in der aggressiven Distanzvergrößerung zu dem, was ihn so sehr bedrohte, zu suchen. Es war ein langer Weg. Es war ein steiniger Weg. Doch er hat sich gelohnt. Jeder einzelne Schritt.
Wie heißt es am Ende des alten Spielfilms "Casablanca" so schön: "Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft." Und das ist es, mein Verhältnis zu Ben. Es ist eine wunderbare Freundschaft. Ben, mein Seelenhund, lehrte mich, wie wichtig es ist, hundliches Verhalten wirklich zu verstehen. Er zeigte mir auf, daß ich meine menschliche Brille ab- und die verhaltensbiologische und lerntheoretische Brille aufsetzen mußte, um ihm, dem von Menschen mißhandelten Lebewesen, das einfach Leib und Leben schützen mußte, weil kein anderer es für ihn tat, wirklich helfen zu können. Ruhige, souveräne Führung - sie ist kein "Hundeplatzanspruch", sie hat nichts mit "Macht" und "Unterordnung" zu tun. Sie ist notwendig, um einem Hund, der in Beschädigungsabsicht auf Menschen und Hunde gleichermaßen losging, ein normales, angst- und streßfreies Leben zu ermöglichen.
Aggressives Verhalten eines Hundes ist nicht böse. Es ist in keiner Weise moralisch zu werten. Es ist schlicht und ergreifend Teil der hundlichen Kommunikation. Und nur, wenn wir verstehen und für den Partner Hund verständlich "antworten", kann er das Gepöbel an der Leine, Angriffe auf Menschen und/oder Artgenossen, das Jagen von allem, was fährt, rennt oder einfach Hase oder sonstiges Wild ist, unterlassen. Nur, wenn wir unseren Hunden liebevoll und konsequent, mit klaren Strukturen, die sie begreifen können, durch's Leben helfen, werden wir unsere Verzweiflung loswerden und mit unseren geliebten Vierbeinern ein glückliches Leben führen können.
Diese Seiten sollen all jenen, die mit einem Hund umgehen müssen, der anders "tickt" als unsere Gesellschaft ihn gerne hätte, Mut machen. Nicht nur Bens Werdegang, sondern auch die Geschichten meiner anderen drei "Problemhunde" sollen dazu aufrufen, nicht aufzugeben, sondern die Probleme anzugehen, die ein wirklich harmonisches Miteinander aktuell vielleicht noch verhindern.
"Wo es um Tiere geht, wird jeder zum Nazi ... Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka."
Dieser Vergleich zwischen Tier-KZs und Menschen-KZs stammt nicht von rabiaten Tierrechtlern, sondern von einem, der das Leid seines Volkes in und unter den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten von Angesicht zu Angesicht kennt: von einem Juden, von Isaac Bashevis Singer. Singer war ein polnisch-us-amerikanischer jiddischer Schriftsteller, der 1978 den Nobelpreis für Literatur erhielt.
*Anmerkung: Diese Aufnahme stammt nicht aus dem Ausland, dieser Hund verhungerte mitten in Deutschland.